Christus–Visionen
Erste Folge (1896/1897)
Die Waise
Sie trollten sich. Es war ein schlecht Begängnis,—
die letzte Klasse. Keine Glocke klang.
Die Kleine sann: Lang war die Mutter krank,
durch Jahre war die Stube ihr Gefängnis.
Sie sagten Alle heute: Gott sei Dank —
sie ist erlöst. — Ihr aber war so bang
vor einem unerklärlichen Verhängnis.
Ja, und was jetzt? Sie haben sie verscharrt.
Du lieber Gott, was ist doch gar so hart
der feuchte Hügel da von Schutt und Steinen.
Und Mütterchen war doch gewohnt an Leinen
als weiches Lager. Und ihr kommt ein Weinen.
Warum sie sie so schlecht gebettet haben?
Warum in dumpfe, schwarze Erde graben
was hoch im Himmel helle Heimat hat? —
Der Himmel! Das muß eine Märchenstadt
mit goldnen Kuppeln sein und weißen Gassen,
dort ist nur Licht und Liebe — nicht zu fassen,
und niemand ist dort traurig und verlassen,
und selig Singen ist dort alles Tun.
Ein Stern ist Spielzeug wie das weiße Schaf,
mit dem die Kleine wohl zu spielen traf,
und ist dort oben eins besonders brav,
darfs in des Mondes Silberwiege ruhn,
verkrochen in der Wolken Flockenflaum.
Das muß ein Schlaf dort sein — und erst ein Traum!
Da sieht die Kleine aus dem Sinnen auf:
Der Frühling wartet rings mit tausend Blüten,
und wie in jenen tiefen Märchenmythen,
drin braune Zwerge rote Schätze hüten,
ist lauter eitel Gold der Kirchturmknauf.
Nein, ist die Gotteswelt doch eine Pracht
und neu, als hätt der Herr sie just gemacht;
der Kleinen ists ein Jubel — und sie lacht.
Da schaut sie: drüben an der Kirchhofmauer
lehnt noch ein Mann so reglos und so müd;
in seinem dunkelgroßen Auge glüht
wie eine trübe Totenkerze — Trauer.
Derb ist und bäuerisch sein grau Gewand;
ins wirre Haar krallt er die irre Hand
und starrt verloren nach der Berge Rand
als ob zum Fluge in das fremde Land
sich seiner Seele leise Schwinge breite.
Die Kleine trippelt kindisch ihm zur Seite
und staunt ihn groß mit Frageaugen an
und dann klingts alltagsfremd und unverdorben:
„Du, was bist du so traurig, fremder Mann, —
ist dir vielleicht auch Mütterchen gestorben?”
Er hört es nicht. Sein fremdes Auge sinnt
noch immer Wunder, und er sagt nur leise
ungern gestört wie der verlorne Weise
dem sich ein Neues drängt in Kraft und Kreise:
„Geh heim zu deiner Mutter, Kind.”
Da schrickt das Kind zusammen: „Du, ich habe
dir doch gesagt, ich hab nicht Mutter mehr.”
„So”, nickt der Fremde dumpf, „ist sie im Grabe?”
Er senkt die Hand aufs Haupt des Kindes schwer
und träumt den Segen: Leicht sei ihr die Erde.
Da ist der Kleinen wieder bang. Ihr nagts
am Herzen wieder wie ein wildes Weh,
sie schmiegt sich näher in des Grauen Näh:
„Nichtwahr, du weißt es auch, im Himmel seh
ich wieder sie — nichtwahr — der Pfarrer sagts?”
Das Wort verweht, ein leises Heimchen geigt,
die Kleine horcht, ein weißer Falter reigt,
die Kleine horcht, aus fernen Hütten steigt
ein Zitterrauch… Der große Graue schweigt.
Der Narr
Der Turm ruft in gewohnter Pose
den Mittag aus. Ins Sommerglühn
prallt schon die Kinderschar, die lose,
heraus vom Schulbankplattengrün:
So brechen wohl nach bangem Mühn
gefangne Falter freiheitskühn
aus dumpfer, grüner Forscherdose
und suchen eine rote Rose
und schwärmen werbend um ihr Blühn. —
Die Buben bilden kleine Truppen,
es wird gerauft, es wird marschiert,
wenn hurtig zu der Mutter Suppen
auch schon so mancher desertiert.
Die Mädel aber stehn wie Puppen
im Auslagfenster des Bazars
beisamm in bunten Plaudergruppen.
Und wagt ein Kleiner sie zu stuppen
am Zopfbandzipfel ihres Haars,
dann wenden sie sich: Welcher wars?
Und meistens flieht der junge Mars
vor ihrem Zürnen um die Ecke.
Und bei Geplauder und Genecke
verflattert mählich erst der Schwarm. —
Die kleine Anna, blond und arm,
packt jetzt als ob sie was entdecke
die nächste Freundin wie im Schrecke
und weist scheu flüsternd nach der Hecke
und ruft dann etwas. Wie Alarm
fährts in die Schar; der ganze Haufen
zerstiebt. Ein Stoßen und ein Laufen,
ein Wortgewirr, ein Stimmgeschnarr:
„Der Narr.”
„Kinder!”
Und geschwinder
stürzt er herbei.
Ins Geschrei.
„Halt.”
Seine hohe Gestalt
mit dem blassen Gesicht
ist immer dicht
hinter der Flucht.
Er sucht.
Mit den gekrallten
sehnenden Händen,
mit den kalten
Augen, die blenden,
will er sie halten,
will er sie wenden.
Flatternd in Falten
wallt er um die Lenden
der Mantel. Die Lode
hemmt ihm die Flucht.
Bleich wie im Tode
steht er und sucht.
Und die Kinder entsetzt
und in Hitze gehetzt
hasten vorbei.
Auch Anna. Und jetzt,
er schaut sie — ein Schrei.
Er bricht durch die Reih
und faßt sie und fetzt
ihr das Kleidchen entzwei:
„Steh!”
Und dem armen Kind ist zum Sterben weh.
Rings schaut es nach Hilfe. Doch schreckenjäh
ist der Schwarm in den Gassen und Gärten zerstoben.
Und bebend hebt sie die Augen nach oben
bang und beklemmt.
Hat er ein Wunder getan?
Sie staunt ihn an:
die Augen des Fremden sind ihr nicht fremd.
Und es überkommt sie ein großes Vertraun.
Ihr ist: als wär sie lang krank gewesen,
hätt müssen zur dumpfigen Decke schaun
und dürfte des lachenden Blicks Genesen
zum Himmel nun heben, zum maitagblaun.
Sie fühlt: er läßt seine Rechte sinken
auf ihren Scheitel und kost ihn still,
und sie hascht wie im Traum nach der fiebernden Linken,
weil sie sie küssen will….
Doch die Hand entflieht ihr hastig und heiß,
auf die langenden Händchen fällt eine Träne,
und die fremden Lippen fragen sie leis:
„Heißt deine Mutter nicht Magdalene?”
„Ja.”
Und die fremden Lippen fragen so warm:
„Ist sie sehr arm?”
„Ja.”
Und Lippen klingen wie Glockenerz:
„Hat sie viel Schmerz?”
„Ja.
Weil ich sie oft tief in der späten
Nacht noch sitzen und weinen sah.”
„Kannst du auch beten?”
„Ja.”
„Betest du denn auch für deinen Papa?”
„Ja.”
„Tu's.”
„Aber wo ist mein Papa… weißt du's?”
Und da hebt der Fremde das Kind empor.
Seine Stimme ist wie ein Vogelchor
der sich tief in erblühtem Jasmin verlor:
„Sag mir einmal das Wort noch vor!”
„Was?”
„Das.”
„Papa?”
„Ja.”
Und sein Ja ist ein jubelnder Siegessang.
Er küßt dem Kinde die Stirne lang,
er küßt dem Kinde die Augen blank;
sein Kuß ist Liebe, sein Kuß ist Dank.
Und er stellt das Kind wieder leis auf die Steine
und spricht: „Ich kann dir nichts geben, Kleine —”
Ein müdes Lächeln nur wirft er ihm zu:
„Ich bin ja viel ärmer als du….”
Es war ein Weinen, wie er das sprach.
Und er winkt noch einmal leis mit der Hand
und geht. Er geht durch das heiße Land
wie ein Bettler im schlotternden Lodengewand
und doch wie ein König so stolz und groß.
Und sie haben ihn immer „der Narr” genannt.
Und Anna steht lange, wie traumgebannt
staunt sie ihm nach,
dann stürmt sie nach Hause atemlos. —
Der Mutter Alles zu sagen, sie scheuts.
Doch plötzlich sagt sie beim Schlafengehn:
„Du, Mutter, ich hab einen Mann gesehn,
der war — wie der Mann am Kreuz….”
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Die Kinder
Das war
ein Mann inmitten einer Kinderschar.
Schlicht um die Schultern lag ihm der Talar,
und heimathell war ihm das Heilandshaar.
Und wie um einen frühen Frühlingstag
sich, jäherwacht, die Blüten staunend scharen,
so kamen Kinder zu dem Wunderbaren,
den keiner von den Alten nennen mag.
Die Kinder aber kennen ihn schon lang
und drängen in das offene Tor der Arme —
ein blasses betet: Du bist das „Erbarme”,
nach dem die Mutter ihre Hände rang.
Und leise flüstert ihm das wangenwarme:
„Nichtwahr, du wohnst im Sonnenuntergang,
dort wo die Berge groß und golden sind.
Dir winkt der Wipfel und dir singt der Wind,
und guten Kindern kommst du in die Träume.”
Da neigen alle sich wie Birkenbäume.
Es neigen sich die Blonden und die Braunen
vor seinem Lächeln, und die Alten staunen.
Und Kinder flüchten sich von allen Seiten
in seinen Segen heim wie in ein Haus,
und lauschen alle. Seine Worte breiten
weit über sie die weißen Flügel aus:
„Hat einmal eins von euch schon nachgedacht,
wie eilig euch die leisen Stunden führen
an jedem Tag und in jeder Nacht
durch tausend Tore und durch tausend Türen.
Noch gehn die Angeln alle leicht und leise
und alle Pforten fallen scheu ins Schloß;
noch bin ich Warner euch und Weggenoß,
doch weit aus meinen Reichen reift die Reise.
Ihr wollt ins Leben, und das bin ich nicht,
ihr müßt ins Dunkel, und ich bin das Licht,
ihr hofft die Freude, ich bin der Verzicht,
ihr sehnt das Glück und — ich bin das Gericht.”
Er schwieg. Von ferne horchten auch die Großen.
Dann seufzte er: „Ihr müßt mich nicht verstoßen,
wenn wir zusammen an den Marken stehn.
Mich mitzunehmen seid ihr dann zu jung;
doch schaut ihr mal zurück von euren Fahrten
vielleicht in einen armen Blumengarten,
vielleicht ins Mutterlächeln einer zarten
versehnten Frau, vielleicht in ein Erwarten:
Ich bin die Kindheit, die Erinnerung.
Gebt mir die Hand, schenkt mir (im) Weitergehn
noch einen Blick, der schon ins Leben tauchte,
aus dem der neue und noch niegebrauchte
Gott seine Hände euch entgegenhält.
Ihr dürft hinaus. Es wartet eine Welt.”
Sie horchten hastig seinem Verheißen,
ihre Wangen waren so warm:
„Werden wir an den Türen reißen?!”
ruft ein wilder Kleiner im Schwarm.
Und da bettelt er bang: „Du führe
schnell uns weiter durch Wasser und Wald,
und die große, die letzte Türe
kommt sie dann bald?”
So an dem Glück, das der Meister verkündet,
haben sich hell seine Augen entzündet,
und er blüht in der Sonne auf.
Aber da hebt sich aus horchendem Hauf
einsam ein Kleiner, ihm weht das verworrne
welkende Haar um die Stirne gebläht
wie die zerrissene Zier überm Zorne
eines Helmes weht.
Seine Stimme flattert und fleht:
„Du!” er klammert um seine Knie
bange die armen hungernden Hände —
„Solche Worte vom ewigen Ende
sagtest Du nie!
Wenn die andern undankbaren
weiter wollen zu jagenden Jahren —
ich bin anders, anders wie sie!”
Und er umklammert im Krampfe die Knie. —
Und die Lippen des Lichten erbeben,
und er neigt sich dem Weinenden leise:
„Giebt die Mutter dir Spiel und Speise?”
Da schluchzt ihm der Knab in den Schooß:
„Zum Spielen bin ich zu groß.”
„Bringt sie dir morgens ins Stübchen
deine Brühe warm?”
Da bebt das bangende Bübchen:
„Bin zum Essen zu arm.”
„Küßt sie dir nie die Wange
mit ihrer Liebe rot?”
Da gesteht er: „Lange, lange
ist mir Mutter tot.”…
Und die Lippen des Lichten erbeben
wie Blätter im herbstlichen Hain:
„Oh dann warst du schon draußen im Leben,
und wir können beisammen sein.”
Der Maler
Die alte Standuhr, von dem Zwölfuhrschlagen
noch immer müde, rief das „Eins” so weh,
daß er zusammenzuckte und den Kragen
schnell um der Kleinen Schultern schmiegte: „Geh!”
Sie sah erstaunt ihn an beim Abschiedsagen
und bangte immer wieder mit der zagen
versagten Stimme, kinderklug: „Wann seh
ich dich denn wieder?” „Nun — in diesen Tagen,
geh, du bist lästig mit dem vielen Fragen.”
Sie rief und fror und draußen fiel der Schnee. —
Er aber trat zurück ins Atelier
und ging mit stillen Schritten in dem kühlern
vertrauten Raume her und hin.
Das leise Licht, das wie mit feinen Fühlern
ins stumme Dunkel suchte vom Kamin,
erweckte da und dort ein Ding zum Leben,
das seltsam fremd in heimlichem Erheben
sich formte in der kurzen Gunst des Lichts.
In weichem Wechseln wogte Sein und Nichts
rings um den Mann, der sinnenden Gesichts
sich ganz verlor im scheuen Schattentreiben,
bis er, wie hart vor einem Hindernis,
den Fenstervorhang von den Riesenscheiben,
fortzerrte, daß die Seide zischend riß.
Und da im Mond — die Dinge durften bleiben —
da blieb auch der , den er im Schatten schon
mit allen Sinnen seines Seins erkannte,
obwohl er nicht das Antlitz zu ihm wandte
und reglos auf die große weitgespannte
Bildleinwand schaute, drauf mit mattem Ton
der Silbermond die Winterlichter streute.
Sie sanken mitten in die Männermeute,
die einen Mann umdrängte und umdräute,
der blaß und ärmer wie die andern war.
Er stand wie ein Verräter in der Schar,
stand wie ein Leugner, den die Liebe reute,
und ohne alle Hoheit war sein Haar.
Und seine Würde war wie ein Talar
von seiner Brust gesunken, und es scheute
ein Kinderschwarm sich vor dem Proletar…
Auf diesem Bilde jetzt die fremden Lichte
schien ein Geschenk zu sein von dem Gesichte
des Mannes, den der Maler davor fand;
in kalte Kanten krallte er die Hand,
und hingehetzt von hundert Ängsten floh
die Seele ihm mit feigem Flügelbreiten
zu allen Hoffnungen und Heimlichkeiten
und wähnt: sie wird bei einer die bereiten
Fluchtfenster finden in das Nirgendwo.
Doch eh sie noch zurückgefunden, — gleiten
des Bleichen Blicke von dem Bild und leiten
das leise Wort: „Warum malst du mich so?”
„Bin ich denn so an deinem Bett gesessen,
wenn deine Furcht aus Kinderfiebern schrie,
und in dem Mahnen der Marienmessen —
war das die Miene, die dir Mut verlieh?
Und dann — am Grabe deiner Mutter — wie
entstieg ich da den zitternden Zypressen?
Hast du im Weiterschreiten mich vergessen,
und meine Züge, warum malst du sie?”
Sein Fragen senkte sich so frühlingsstill,
wie eine frühe Blüte sinkt vom Baume
die heil in Halmen harrt, ob tief im Traume
ein lieber Wind sie spielend wählen will, —
allein der Maler, scheu von Scham und Schuld,
zertritt die zarte mit der Ungeduld
des bangen Sklaven. Und sein Haß hält roh
die Faust ihm hin: „Ich sah dich immer so.”
Und da wächst der, der wie ein Büßer stand,
weit auf. Sein Schatten hüllt die ganze Wand,
und seine Stimme schwillt wie eine Flamme:
„So schien ich dir aus diesem Bettlerstamme?
Die zage, blasse Armut war mir Amme,
und drum glaubst du: es ist die Schergenschramme
auf meiner Brust mein einzig Purpurrecht?
Ich trank mir nicht den Adel aus dem Schwamme,
als König kürte ich mir ein Geschlecht,
und erst im Sterben ward ich Knecht.
Da ward ich — Gott. Und nur der niegewußte
Gott könnte groß sein, der nicht folgen mußte
dem ungestümen Ruf der Menge, die
ihn brünstig brauchte. Doch in wahngeblähter
Beharrlichkeit langt früher oder später
der Pöbel alle Götter aus dem Äther,
und in den bangen Blicken ihrer Beter
zerschmelzen sie.”
Es schwand in Schwaden sein weißes Kleid,
es ging keine Pforte.
Aber der Maler hörte noch Worte, —
milde Worte wehten von weit
nicht aus der Zeit:
„… In gleichem Harm und in gleichen Hemden
will ich frierend mit Freunden gehn,
aber vor den Seelenfremden
will ich festlich und fürstlich stehn:
Mal mich im Purpur dieses Blutes,
das wund von Wehen und Wundern war,
und mit der Mitra meines Mutes
hülle mir mein armes Haar.
Und alles Leuchten der Liebe — legs
an den Rand meiner Hände,
daß ich den Himmel ganz verschwende
an alle Kinder — unterwegs.....”
Jahrmarkt
Das war in München beim Oktoberfeste,
da die Theresienwiese voll vom Schrein
und Schwall der Schauer ist. Da bunte Gäste
aus der Provinz der Kunst der Rindermäste
verständnisvoll ein Mundvoll Worte leihn.
Die kleinen Mädchen, flüchtig ihrem Neste,
durchschwirren keck den lauten Tag zu zwein,
und Bursche mit der bunten Lodenweste
und ziere Stadtherrn bengeln hinterdrein.
Dazwischen drängen Wagen und betreßte
urdumme Kutscher, blinzende Lakein,
Fuhrleute dann, die in ihre längstgenäßte
gepichte Kehle tüchtig spülen. Kein
Verdroßner stört, und allen schiens das Beste,
daß man sich prall und gar so prächtig preßte
durch diese bauernbunten Budenreihn.
Bier gabs und Wein in Strömen allerorten,
und viel Verständge prüften dran; es ließ
die Blume gelten der und der die Borten.
Marktschreier prahlten an den Bretterpforten
und priesen ihre Wunder weit mit Worten,
als wären sie mit Noah und Konsorten
zurückgekehrt ins echte Paradies.—
An kleinern Ständen bot man Trauben, Torten
und Würste aus; geduldige Hühner schmorten
sich einen goldnen Panzer an am Spieß.
Und drüben stand bewehrt ein schwarzer Tell,
ein Wilder, und vergaß das Schreienmüssen
vor lauter Gieren nach den Kokosnüssen.
Da schob ein Zwerg, ein drolliger Gesell,
mit Grinsemiene sich vorüber, schnell
war dort die ganze Menge hingerissen
zur Wellenschaukel und zum Karussell.
Und wo sie eine rote Fahne hissen,
dort reißt auf grellverhangenem Gestell
dummdreiste Witze der Polichinell.
Die große Trommel hat er durch geschlissen
und trommelt jetzt trotz tausend Hindernissen
mit seinem unverschämten wilden Wissen
dem lieben Publikum das Trommelfell.
Laut lachend ließ gefallen sichs ein jeder.
Auch ich ging ziellos durch das Weggeäder
und blinzte müßig in das volle Licht,
und manchmal fuhr ich wie so mancher Wicht
der Schönen, die just kam, ins Angesicht
mit meiner kühnen, kecken Pfauenfeder.
Und hinterher konnt' noch ein Silberkichern
von blütenfrischen Lippen mir versichern:
die liebe Kleine grollte nicht. —
Dann gabs ein Ängsten, wenn wo Fässerfuhren
mit plumpen Pferden furchten wegentlang:
Die Menge drängte in die Räderspuren,
da schrie ein Kind, ein Bursche sang, da sprang
ein Mädel, dem entfernter Walzertouren
ersehnter Zauber in die Beine drang.
Und was nur immer klingen konnte, klang,
vom Waldhornsolo bis zum Bumerang
dort vor den Buden mit den Wachsfiguren.
Wie ich mich so durch das Getümmel wand,
da stand ich plötzlich an der Wiese Rand
vor einer Bude. Überm Eingang stand
in kargen Lettern zaghaft und bescheiden:
„Das Leben Jesu Christi und sein Leiden.”
Und — ich weiß nicht warum, ich trat hinein.
Schon hielt ich in der Hand den blauen Schein,
der für zehn Pfennig Einlaß mir gewährte.
Ich fragte mich, was den Besitzer nährte;
denn in der Bude war ich ganz allein.
Wer mochte dem auch hier sein Denken weihn,
dem Mann, von dem der Katechet ihm lehrte,
daß Buße er gepredigt und Kastein
und daß ein großes Leiden ihn verzehrte.
Da sah ich nun des heilgen Kinds Geburt
und dann die Flucht, da Josef durch die Furt
des Flusses lenkt das Maultier mit Marien,
den Tempel dann, drin ob der Theorien
des Knaben mancher Pharisäer murrt,
und dann den Einzug in Jerusalem,
wo er, — zu fragen meidet er, bei wem —
bei schlichten Leuten unter Sünden wohnt
und jeden Willen reich mit Wundern lohnt.
Dann jener Tag, da er sein deo natus
dem Volk entgegenschleudert, und Pilatus
sogar den Richtern Milde rät,
bis, weil das Volk zu sänftigen zu spät,
des Bleichen dornbekränzte Majestät
schmerzedel auf der Balustrade steht,
daß Mitleid selbst des Römers Herz durchweht
und er verwirrt sein „Ecce homo” fleht….
Umsonst. Es brüllt der Pöbel ungestüm:
Ans Kreuz mit ihm!
Dann kamen alle Greuel jenes Tags,
da er, verurteilt von des Reichs Verwesern,
ans Holz geheftet wurde wilden Schlags:
Nacht brach herein, und in den Wolken lags
wie Racherufe von Posaunenbläsern,
und fremde Vögel gierten nach den Äsern,
und statt des Taus war Blut an allen Gräsern.—
Jetzt starrten beide Schächer hier so gläsern
mich an; es glänzte ihrer Stirnen Wachs.—
Doch Christi Auge, klufttief, todesdunkel,
erlohte in so täuschendem Gefunkel,
daß alles Blut mir heiß zum Herzen schoß:
Der gelbe Wachsgott öffnete und schloß
das Lid, das, bläulich dünn, den Blick verhängte;
der enge, wunde Brustkorb hob und senkte
sich leise, leise, und die schwammgetränkte,
todblasse Lippe schien ein Wort zu fassen,
das sehnend sich durch starre Zähne drängte:
„Mein Gott, mein Gott — was hast du mich verlassen?”
Und wie ich zu entsetzt, daß ich des Sinns
des dunkeltiefen Dulderworts verstände,
nur steh und steh und nicht das Auge wende,—
da lösen leise seine weißen Hände
sich von dem Kreuze, und er stöhnt: „Ich bins.”
Lang lausch ich nach, und es verklingt sein Spruch,—
ich schau die Wände rings von grellem Tuch
bedeckt und fühle diesen Jahrmarktstrug
mit seinem Lampenöl — und Wachsgeruch.
Da haucht er wieder her: Das ist mein Fluch.
Seit mich, von ihrem eitlen Glaubensprahlen
betört, die Jünger aus dem Grabe stahlen,
giebts keine Grube mehr, die mich behält.
Solang aus Bächen Sterne widerstrahlen,
solang die Sonne zu erlösten Talen
den Frühling ruft mit seinen Bacchanalen,
so lange muß ich weiter durch die Welt.
Von Kreuz zu Kreuze muß ich Buße zahlen:
wo sie ein Querholz in (den) Boden pfahlen,
dort muß ich hin auf blutigen Sandalen
und bin der Sklave meiner alten Qualen,
mir wachsen Nägel aus den Wundenmalen,
und die Minuten pressen mich ans Kreuz.
So leb ich, ewig sterbend, meines Heuts
maßlose Reue. Krank und lang entkräftet,
da in der Kirche Kälte festgeheftet,
dort in dem Prunk profaner Jahrmarktsbuden;
ohnmächtig heut und doch gebetumschmachtet,
ohnmächtig morgen und dabei verachtet,
ohnmächtig ewig in der Sonnenhelle
des Kreuzwegs wie im Frieren der Kapelle.
So treib ich wie ein welkes Blatt umher.
Kennst du die Sage von dem Ewigen Juden?
Ich selbst bin jener alte Ahasver,
der täglich stirbt um täglich neu zu leben;
mein Sehnen ist ein nächtig–weites Meer,
ich kann ihm Marken nicht noch Morgen geben.
Das ist die Rache derer, die verdarben
an meinem Wort. Die opfernd für mich starben,
sie drängen hinter mir in weiten Reihn.
Horch! Ihre Schritte! — Horch! Ihr kreischend Schrein….
Doch eine große Rache nenn ich mein:
Ich weiß, bei jedem neuen Herbste warben
die Menschen um den Saft, den feuerfarben
die roten Reben ihrer Freude leihn.
Mein Blut fließt ewig aus den Nagelnarben,
und alle glauben es: mein Blut ist Wein,
und trinken Gift und Glut in sich hinein…
Mich hielt das fürchterliche Prophezein
in bangem Bann. Aus hilfloser Hypnose
riß mich die Menge, die vorüberschwamm.
Ein Schwarm trat ein und fand sich mit Getose
bei jener ersten Gruppe just zusamm,
und vor mir hing der gelbe regungslose
Gekreuzigte in wächsner Jahrmarktspose
an seinem Stamm.
Die Nacht
Nach Mitternacht ists. Dunkle Stunden gängeln
die Letzten heimwärts längs der Häuserreih.—
Nur im verrauchten Saale „Zu den Engeln”
auf dem verschoßnen Samtsitz lehnen Zwei.
Er und ein Weib. Und gelbe Kellner bengeln
müd, mürrisch mahnend an dem Tisch vorbei.
Ein Piccolo hockt an des Saales Ende
auf steilem Stuhle ganz von Schlaf verschneit.
Nur da und dort glühn trübe Lampenbrände,
in Rauch und Dämmer lösen sich die Wände,
und langsam durch die Wanduhr tropft die Zeit.—
Das Weib neigt sich zu dem Gefährten. Weit
giert aus dem wellengrellen Seidenkleid
die Sinnenhast der ewig kalten Hände:
„Was bist du denn so traurig fort, du, Blasser?
Ich glaube gar du bist ein Menschenhasser?
Schau, — ich bin schön und wir sind ganz allein…
Die Schönheit! Prosit! Aber — du — mit Wasser?…”
Und sie erweckt ein Echo: „Kellner, Wein!”
„Nein, du, ich will nicht trinken”, wehrt er ernst.
„Geh, Lieber, spare deine weisen Worte.
Willst du auch jetzt noch nicht? Schau her: die Sorte
Champagner! Schau! Ich wette daß du's lernst.
Bist du kein Freund von solchen Bacchanalen?
Schau dieses Perlenkämpfen, wie das schäumt,
schau dieses Perlendämpfen, wie sichs bäumt:
Das ist der Weihrauch unsrer Kathedralen,
der prickelnd sickert aus opalnen Schalen!
Trink jetzt! Die Liebe lebe! ..Ausgeträumt!—”
Und sie schlürft tief das Schaumgold des Pokals
und läßt ihn, leer, im roten Schimmer blinken,
und löst dann leise mit der weißen Linken
die schweren Falten ihres Schultershawls.
Und wie wenn sacht des Meeres Wellen sinken
und aus der Flut im Glanz des Mainachtstrahls
die Inseln tauchen mit den Silberzinken,
so schimmert jetzt im Wogenqualm des Saals
ihr Marmorhals. Und ihre Hände winken
dem blassen Nachbar, suchend sehnsuchtleis.
„Komm!” lispelt sie „und willst du ewig säumen?”
Sie neigt sich näher und ihr Wort ist heiß:
„Noch bist du jung! Komm, sei kein Tor! ich weiß
was Beßres, als das Leben dumpf verträumen:
das Leben leben! Nimm dir deinen Preis.”
Da packt es ihn, den neidlos, freudlos Kalten,
und ganz im Bann verhaltener Gewalten
wird alle Kraft in seiner Seele frei.
Er faßt das Weib mit einem wilden Schrei
und seine Finger krallt er in die Falten,
und gleißend reißt das Seidenkleid entzwei.
Die irren Hände wuchten schwer wie Blei,
als wollt er aus dem Leib sich neu gestalten
ein Götterbild, das seiner würdig sei.
Um ihre Glieder brandet Raserei.
So stürmt der Sturzbach, den das Eis gehalten,
aus seiner dumpfen Dämmerschlucht herbei
und springt und ringt und greift in alle Spalten
und seine Liebe tötet fast den Mai.
Mit wildem Griff zerrt er den Vorhang zu,
und in der Luft sind nur die süßen Klagen,
die wie ein Jubel klingen aus den Tagen,
da keiner noch in schäumigem Getu
der Glieder Kraft in Fetzen eingeschlagen,
und jeder Wunsch war damals noch ein Wagen.—
Da fährt der blasse Mann aus schlaffer Ruh
und raunt dem müden Weibe glühend: „Du,”
er lauscht umher —, „ich muß dir etwas sagen.
Sie kamen einst mich bei Gericht verklagen.
Der Richter rief. Das war ein seltsam Fragen:
Ich hörs noch immer: Bist du Gottes Sohn?
Ich kann nicht mehr begreifen dieses Sinns,
doch damals ließ ich schelten mich und schlagen
und dachte, aufgehetzt durch ihren Hohn,
es muß mein Stolz bis an die Sterne ragen.
Ich schrie sie an: Was wollt ihr? Ja, ich bins.
Zu meines Vaters Rechten ist mein Thron!
Was lachst du, Weib? So spei mir ins Gesicht,
ich weiß es, ich verdiene deinen Spott.
Und meine Reue. Nein, ich bin es nicht,
ich bin kein Gott!…”
„Du kannst nicht viel vertragen,
mein Lieber. Welch ein drolliges Gegirr.
Kaum wirbelt noch ein Glas dir aus dem Magen
zu Herz und Hirn, schon sprichst du wahn und wirr.—
Nein, nein, du bist nicht Gott, mach dir nicht Sorgen,
und niemand wird dich so verklagen. Nein.
Doch wart du Blasser, bis zum nächsten Morgen
sollst du ein wenig König sein.
Ja, willst du? Wart, ich werde wenn mirs glückt
aus diesen Rosen dir die Krone schmieden.
Und sind sie nicht mehr frisch, gieb dich zufrieden,
mein hoher Herr, du hast sie selbst zerdrückt..”—
Und ihre Finger fügen jetzt geschickt
zu krausem Kranze Rose an um Rose,
auch welke Blätter sind hineingestickt.
Sie legt ihn auf das Haupt, das regungslose
aus leeren Augen ihr entgegenblickt,
dann klatscht sie in die Hände, lacht und nickt:
„Bravissimo, die echte Königspose!”
Schon kommt der Morgen nach den Scheiben zielen;
die ersten Speere stecken in den Dielen
hell, wie sie just durchs fahle Fenster fielen.
Und gegenüber schmilzt schon auf dem Dach
die Dämmerung. Da gähnt das Weib sich wach
und steckt das Kleid sich auf, das Gierde jach
ihr von der Schulter riß. Dann denkt sie nach
und friert und gähnt: „Willst du noch König spielen?”
Sie zerrt ihn auf und murmelt: „Toller Tropf,
willst du mit deiner Krone auf dem Kopf
bei Tage heut nach Haus spazieren gehn?”
Er starrt sie an und kann sie nicht verstehn.
Da streift sie ihm mit mürrischem Gebaren
den dürren Herbstkranz aus den schwarzen Haaren.
Er starrt sie an — und weint, wie von der Stirne
die letzte morgenwelke Rose fällt:
„Wir sind der ewge Erbfluch dieser Welt:
Der ewige Wahn ich — du die ewige Dirne.” —
Venedig
Die junge Nacht liegt wie ein kühler Duft
auf dem Canal , und grauer nun und greiser
sind die Paläste und die Gondeln leiser,
als führte jede einen toten Kaiser
in seine Gruft.
Und viele fahren, aber eine schwenkt
jetzt scheu und ängstlich in die tiefsten Gassen,
weil tiefste Liebe oder tiefstes Hassen
ihr Steuer lenkt.
Vor einem Marmorhaus mit staubger Zier
drängt sie sich horchend an die Wappenpfähle.
Und lange ruhte keine Gondel hier.
Die Stufen warten. — Fern aus heller Kehle
am Canal grande singt ein Gondolier,
und suchend irrt sein Lied durch die Kanäle.
Der Fremde steht und trinkt den Klang voll Gier,
in lauter Lauschen löst sich seine Seele:
Vorrei morir…
Der Abend zog vorbei am Erdgeschoß
des Dogenhofs, und die Reflexe rannten
hin wie ein Schwarm von wunden Flagellanten.
Er aber stand so einsam ernst und groß
am Fuß der stolzen Treppe der Giganten,
und seiner Blicke dunkle Bogen spannten
sich nach dem Fenster, dessen Flächen brannten:
sie heißen es das Fenster Pellico's.
Er nickte leise, so als stände jener
noch dort, der einst in ewig öder Haft
ergeben wie ein echter Nazarener
verzichtete auf Zorn und Kampf und Kraft.
Vielleicht giebt er den Gruß zurück und rafft
des Vorhangs Falten. Wenn noch seinen Namen
Verliebte, (die) des Wegs vorüberkamen,
zusammenträumen mit den Sündendramen,
erschien er hoch im heißen Fensterrahmen,
er lächelte das Lächeln einer zahmen
in Fesseln müd gewordnen Leidenschaft. —
Und jener unten lächelte es mit.
Dann stieg er stufenan mit scheuem Schritt
und stand oft still, im vollen Abendscheine,
drin die Arkaden, wie versteinte Haine,
zu harren schienen, daß er sie durchweine,
so traurig war er; denn es war der Eine,
der immer dankte, wenn er sprach: ich litt.
Sein Haupt war schwer, und schweren Fußes ging
er in die leeren Marmorbogengänge,
an denen wie vergessenes Gepränge
der rote, raschverwelkte Abend hing.
Ihn fröstelte, und hastig ward sein Schreiten,
das bang erklang im hallend langen Gang.
Vor seiner eignen Lehre war ihm bang:
vor jener Lehre der Vergänglichkeiten.
Sie wuchs um ihn in säulenstarrem Hohne:
so wächst der Zorn dem rachgieren Sohne,
der aus des greisen Vaters feiger Frohne
zu eignem Wort und eignem Weh sich wand.
Er lief zuletzt. Und wie gerettet stand
er endlich still auf einsamem Balkone
und lauschte, was in langem, leisem Tone
die matte Woge sang dem Abendland.
Da knistert neben ihm ein Schleppgewand:
und bei ihm kniet in hoher Mützenkrone
mit weißem Bart ein purpurner Patrone,
und leise faltet sich die Hand zur Hand.
Und Jesus nickt und fragt den alten Mann:
„Schwarz ist der Hafen. Wo sind eure Feste?
Giebts keine Gäste mehr? An die Paläste
legt niemals mehr der bunte Jubel an?
Ich warte schon so lange, wo sind sie
die mich verehrt, die wundersamen Alten
mit Silberbärten, lang und tiefgespalten —
die Vendramin und Papadopoli.
Ich weiß: die Nacht bewohnt in euren kalten
Palästen jetzt das beste Prunkgemach.
Denn ihr seid lang gestorben, und den Jungen
ist Lied und Lachen gar so bald verklungen
in einer Zeit, die nur mit Eisen sprach.
Jetzt sind die Gassen alle kalt und und brach,
und Trauer nur, in halbem Traum gesungen,
langt oft den flüchtenden Erinnerungen
aus einem engen grauen Hause nach.
Von keinem Lande wissen eure Stufen,
und alles kam, wie es die Vorsicht will.
Der Hochmut hohe Häuser starben still,
und nur die Kirchen dauern noch und rufen.”
„Ja, Herr”, spricht jetzt der Doge und entfaltet
die Hände nicht. „Der Todes Ohnmacht waltet
mit tausend tiefen Schauern über uns.
Und deine Glocken locken lauten Munds.
Du giebst noch immer große, reiche Feste
und machst, daß deine gernbereiten Gäste
in deinen Hallen Elend und Gebreste
vergessen und wie Kinder selig sind.
Und jedes Volk, das gerne noch als Kind
sich fühlen mag, folgt in die Prachtpaläste
die du ihm aufgetan und betet blind.
Doch ich bin alt. Ich seh die Zeiten rollen
bis in den Tag, da keine Völker mehr
wie Kinder sein und Kinder spielen wollen;
denn mögen alle deine Glocken grollen,
dann bleibt auch dein Palast für ewig leer.”
Der Alte schwieg. Wie betend blieb er knien.
Sternknospen sprangen an den Himmelsachsen.
Und dieses Knien schien weit hinauszuwachsen
vorbei an Christo und weit über ihn…
Judenfriedhof
Ein Maienabend. — Und der Himmel flittert
vor lauter Lichte. Seine Marken glühn.
Die grauen Gräbersteine, moosverwittert,
deckt jetzt der Frühling mit dem besten Blühn;
so legt die Waise — und ihr Händchen zittert —
auf Mutters totes Antlitz junges Grün.
Hier dringt kein Laut her von der Straße Mühn,
fernab verlieren sich die Tramwaygleise,
und auf den weißen Wegen wandelt leise
ins rote Sterben träumerisch der Tag.
Der alte Judenfriedhof ists in Prag.
Und Dämmer sinkt ins winklige Gehöf,
drin Spiro schläft, der Held im Schlachtenschlagen,
und mancher weise Mann, von dem sie sagen,
daß zu der Sonne ihn sein Flug getragen,
voran der greise hohe Rabbi Löw,
um den noch heut verwaiste Jünger klagen.—
Jetzt wird ein Licht wach in des Torwarts Bude,
aus deren schlichtem Eisenschlote raucht
ein karges Mahl. — Bei Liwas Grabe taucht
jetzt langsam Jesus auf. Der arme Jude,
nicht der Erlöser, lächelnd und erlaucht.
Sein Aug ist voll von tausend Schmerzensnächten,
und seine schmale blasse Lippe haucht:
„Jehova — weh, wie hast du mich mißbraucht,
hier wo der treuste ruht von deinen Knechten,
hier will ich, greiser Gott, jetzt mit dir rechten! —
Denn um mit dir zu kämpfen kam ich her.
Wer hat dir Alles denn gegeben, wer? —
Der Alten Lehre hatte mancher Speer
aus Feindeshand ein blutend Mal geschlagen, —
da brachte ich mein Glauben und mein Wagen,
da ließ ich neu dein stolzes Gottbild ragen
und gab ihm neue Züge, rein und hehr.
Und in der Menschen irres Wahngewimmel
warf deinen Namen ich — das große „Er” .
Und dann von tausend Erdensorgen schwer
stieg meine Seele in den hohen Himmel,
und meine Seele fror; denn er war leer.
So warst du niemals — oder warst nicht mehr,
als ich Unsel'ger auf die Erde kam.
Was kümmerte mich auch der Menschheit Gram,
wenn du, der Gott, die Menschen nicht mehr scharst,
um deinen Thron. — Wenn gläubiges Gefleh
nur Irrsinn ist, du nie dich offenbarst,
weil du nicht bist. — Einst wähnt' ich, ich gesteh,
ich sei
Mein Alles war mir, Vater, deine Näh…
Du Grausamer, und wenn du niemals warst,
so hätte meine Liebe und mein Weh
dich schaffen müssen bei Gethsemane.”
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Im Wärterhäuschen ist das Licht verlöscht.
Und in dem Bett von Gräbern breit umböscht
fließt schon des blauen Mondquells Wunderwelle.
Und Sterne schaun mit Kinderaugenhelle
verstohlen über schwarzen Giebelrand. —
Und Christus, zu des Rabbi Gruft gewandt:
„Dir auch gefiel es, Alter, manchen Spruch
zur Ehre jenes Gotts zusammzuschweißen.
Wer hat dich, morscher Tor, auch blättern heißen
in alten Psalmen und im Bibelbuch?
Du hast so viel gewußt, stehst im Geruch,
dich gar geheimer Weisheit zu befleißen.
Heraus damit jetzt! Weißt du keinen Fluch,
daß ich des Himmels blaues Lügentuch
mit seiner Schneide kann in Stücke reißen.
Hast du kein Feuer in den Dämmerungen
des Alchymistenherdes je entdeckt,
das fürchterlich und ewig unbezwungen
mit gierem Lecken seine Rachezungen
bis zu des Weltalls fernen Angel
Kennst du kein Gift, das süß ist wie der Kuß
der Mutter, das nach seligem Genuß
den Ahnungslosen sicher töten muß.
O Glück, die ganze Welt so zu vergiften.
Weißt du kein Mittel, herben Haß zu stiften,
der jeden Mann zum wilden Raubtier macht?
Kannst du nicht ziehn in diese stillen Triften
die Schauerschrecken einer Völkerschlacht.
Kannst du nicht eine neue Lehre stiften,
die Wahnsinnswut in jeder Brust entfacht.
Ins Unbegrenzte steigre ihre Triebe
und sende Pest und sende Seuchenschwärme,
daß in des Lotterbettes feiler Wärme
die ganze Welt zugrund geht an der Liebe!”
Jach lacht er Hohn. Und in den stummen Steinen
gellts wie des wunden Wildes Sterbeschrei.
Es legt ein Reif sich auf den nächtgen Mai.
Ein schwarzer Falter zieht im Flug vorbei
und er sieht Christum einsam knien und weinen.
Zweite Folge (1898)
Die Kirche von Nago
Die Kirche von Nago
Diese Dörfer sind arm und klein;
du kommst nirgends hinaus und hinein,
nur ein paar Hütten, die dir begegnen
mitten im Mai.
Willst du sie segnen?
Sie sind schon vorbei.
Aber vor dir die Kirche steht
ragend im Abend höher oben
als hätte die Erde selber gehoben
aus kleinen Hütten ein großes Gebet.
Aber es muß schon lange sein
seit dies geschah:
vom Kreuzturm stürzte die Stange ein,
die Glocke schlief überm Klange ein —
niemand war da.
Haben im Dorf wohl das Beten vergessen —
oder beten sie anderswo?
Sie denken: ohne die teuern Messen
geht das Sterben auch so.
Und lassen es über die Reben regnen
und lassen es über die Rosen scheinen
und vergessen das Lachen und kennen kein Weinen
und sind doch die Deinen:
Willst du sie segnen?
Du willst erst in deiner Kirche ruhn
und dann zurück zu den seltsam Frommen
hell von dämmernden Hängen kommen
und Wunder tun.
Weißt du schon, wie du dann ihr Weh
wirst bedenken?
Wirst du die Jungen aus den Gesenken
noch vor Tag auf den Hügel lenken
und von dort ihrem Schauen schenken
den Gardasee?
Wirst du die Berge gleich Riesenpfühlen
näher rücken um dieses Tal,
daß die Alten mit einem Mal
sich heimlicher fühlen?
Denn du hast Mächte und Möglichkeiten
und die Dinge, die du rufst
werden dich wie einen König begleiten
und dir willige Brücken breiten
über die Meere, die du schufst. —
Aber heute bist du schon matt. Und dein Kleid
ist bestaubt.
Staubig dein Haupt.
Kommst du von weit?
Er sagt: „Mein Weg ist von Meer zu Meer.
Ich bin her
aus dem fernen Gestern
gekommen.
Und weiß nicht wie.
Meine Leiden, die weißen Schwestern
haben mich in die Mitte genommen…
Jetzt weinen sie.”
Er schwieg.
Und ich hörte sie wirklich weinen
und sah, wie er zwischen steilen Steinen
langsam zu seiner Kirche stieg.
So war kein Sieg.
Das war die Heimkehr eines Ermatteten,
der viel geirrt,
und niemehr Hirt
und dunkel aller Beschatteten
Bruder wird.
Aber noch steht ihm das Haus,
in welches ihr Beten
lange alle die Armen gebracht;
und wenn er es findet, wird es ihm Macht,
und er wird wie im Traum im fürstlicher Tracht
erwacht
nach raschem Ruhn
heraus
aus Trümmern treten
und Wunder tun.
Der Müde oben tritt tastend ein.
Die Kirche ist schwarz, und das Dunkel ist klein
und wird erst langsam den Blicken weit.
Der Einsame bringt die Ewigkeit
mit in die Mauern und breitet sie aus
mit segnenden Händen —
Da durchweht von den Wänden
lebendige Wärme das Haus.
Und jetzt erst erkennt er: die Kirche log.
Wo der Altar war, da ist neu
eine Krippe gezimmert: Scheu
umdrängen drei Kühe den Trog,
und heufeucht duftet die Streu.
Und die Ewigkeit, die er ausgespannt,
reicht nicht einmal von Wand zu Wand,
wird eine ängstliche Ewigkeit:
denn das Land ist breit.
Und der Bleiche bleibt einsam an seinem Rand,
bleibt knien.
Und es weht wie aus einer Wiege warm
um ihn.
Und er ist wie ein König aus Morgenland —
nur ganz arm.
Der blinde Knabe
An allen Türen blieb der blinde Knabe,
auf den der Mutter bleiche Schönheit schien,
und sang das Lied, das ihm sein Leid verliehn:
„Oh hab mich lieb, weil ich den Himmel habe.”
Und alle weinten über ihn.
An allen Türen blieb der blinde Knabe.
Die Mutter aber zog ihn leise mit;
weil sie die andern alle weinen schaute.
Er aber, der nicht wußte, wie sie litt,
und nur noch tiefer seinem Dunkel traute,
sang: „Alles Leben ist in meiner Laute.”
Die Mutter aber zog ihn leise mit.
So trug er seine Lieder durch das Land.
Und als ein Greis ihn fragte, was sie deuten,
da schwieg er, und auf seiner Stirne stand:
Es sind die Funken, die die Stürme streuten,
doch einmal werd ich breit sein wie ein Brand.
So trug er seine Lieder durch das Land.
Und allen Kindern kam ein Traurigsein.
Sie mußten immer an den Blinden denken
und wollten etwas seiner Armut weihn;
er nahm sie lächelnd an den Handgelenken
und sang: „Ich selbst bin kommen euch beschenken.”
Und allen Kindern kam ein Traurigsein.
Und alle Mädchen wurden blaß und bang.
Und waren wie die Mutter dieses Knaben,
der immer noch in ihren Nächten sang.
Und fürchteten: wir werden Kinder haben, —
und alle Mütter waren krank..
Da wurden ihre Wünsche wie ein Wort
und flatterten wie Schwalben um die Eine,
die mit dem Blinden zog von Ort zu Ort:
„Maria, du Reine,
sieh, wie ich weine.
Und es ist seine
Schuld. In die Haine
führ ihn fort!”
Bei allen Bäumen blieb der blinde Knabe,
auf den der Mutter müde Schönheit schien,
und sang das Lied, das ihm sein Leid verliehn:
„Oh hab mich lieb, weil ich den Himmel habe —”
Und alle blühten über ihm.
Die Nonne
Die blonde Schwester trat in ihre Zelle
und schmiegte sich an sie: „Um meine Ruh
ist es geschehn. Ich wurde wie die Welle
und muß den fremden Meeren zu.
Und du bist klar. Du Heilige, du Helle,
mach mich wie du.
Gieb mir den Frieden, den du heimlich hast
und ohne Angst, so wie ihn keine hat, —
gieb mir die Rast;
daß ich ein Fels bin, wenn die Flut mich faßt,
und nicht ein Blatt.”
Und leise neigte sich die Nonnenhafte —
nicht tief:
nur wie die Blüte horcht vom hohen Schafte,
wenn Wind sie rief.
Sie hatte längst die Gesten den Geländen
entlernt — die leise gebenden —
und fügte einen Kranz aus ihren Händen
und schenkte lächelnd ihn der Bebenden.
Und nach dem Schweigen waren sie sich nah;
so daß sie sich nicht dunkel fragen mußten
und sich nur klar das Letzte sagen mußten
und das geschah:
„Sprich mir von Christo, dessen Braut du bist,
der dich erkor.
Und seine Liebe, deren Laut du bist,
tu auf mein Ohr.
Laß mit mich wohnen
in seiner Trauer, deren Trost du bist!
Du Leiserlöster. weo erlost du bist
aus Millionen.”
Da küßte kühler sie die Priesterin
und sprach:
„Ich bin ja selbst an Gottes Anbeginn,
und dunkel ist mir meiner Sehnsucht Sinn —
Weit ist der Weg, und keiner weiß wohin,
doch sag ich dir, weil ich die Schwester bin:
Komm nach.
Mit einemmale wird dir Alles weit,
du langst dir nach.
Nur eine Weile geht noch aus der Zeit
die Angst dir nach.
Doch wenn du glaubst, so kann sie weit nicht mit
und sie wird lahm
und bleibt zuletzt.
Und wie es kam?
Das, was ich einmal litt,
lobpreis' ich jetzt.
Und Nächte giebt es, da die blasse Scham
entflieht,
da schenkt sich Jesus wie ein Lied
mir hin,
und meine Seele sieht,
daß ich ein Wunder bin,
das ihm geschieht.”
Die Schwestern waren Brust an Brust gepreßt
und beide jung im Glühn des gleichen Scheines:
„Dann bin ich mit dem großen Leben Eines
und fühle tief: das ist das Hochzeitsfest,
und alle Krüge wurden Krüge Weines.”
Da neigten die Mädchen sich Leib an Leib:
es war, als ob derselbe Sturm sie streifte
und sie umwob
und dann die Blonde hob
in einen Sommer hoch, darin sie reifte
— zum Weib.
Denn sie küßte die Schwester mit fremdem Kuß
und lächelte fremd: „Vergieb, — ich muß. —
Weißt du noch von dem blonden Gespielen?
Und wir warfen nach weißen Zielen
schlanke Speere im alten Park:
Der ist jetzt stark.”
Und da hielt die Nonne die Schwester nicht —
sah der Schwester nicht ins Gesicht,
ließ sie ganz langsam los,
wurde groß…
Die Blonde erschrak; denn kein Segen kam,
und bange bat sie: „So bist du mir gram?”
Die Heilige träumte: Ich hab dich lieb.
Und hielt der Schwester die Hände her,
leer, —
als flehte sie: gieb.